Das Gehirn kommt ohne Bedienungsanleitung

Im Alltag spielt uns unser Kopf immer wieder Streiche, wenn er versucht, die physikalische Realität in ein mentales Bild für uns zu übersetzen.

Das Gehirn kommt ohne Bedienungsanleitung

Bei meiner Recherche zum SCARF-Modell habe ich immer wieder auf neurologische Grundlagen entdeckt, welche zum Verständnis meiner Meinung nach notwendig sind. Ich beginne also eine kleine Artikel-Serie zum Thema. Mal sehen, wo es mich hinbringt.

Im Alltag spielt uns unser Kopf immer wieder Streiche, wenn er versucht, die physikalische Realität in ein mentales Bild für uns zu übersetzen. Was wir verstehen und was wirklich ist, sind oft zwei unterschiedliche Dinge. Was Bewusstsein genau ist, beschäftigt Philosophen und Wissenschaftler (und viele mehr), in Form des Leib-Seele-Problems schon seit Jahrhunderten.

Ein paar Erkenntnisse zum Gehirn

Einige Dinge, die sich auf unser Verhalten auswirken, sind Fakt und lange untersucht. In den Links am Ende des Artikels habe ich meine Quellen gesammelt aufgeführt.

1. Das Gehirn ist eine Verbindungsmaschine

Die ca. 100 Milliarden Neurone in unserem Gehirn sind sehr stark vernetzt. Sie tauschen chemische Botschaften untereinander aus. Die Verbindungen werden durch unsere Erfahrungen, Lernen, Fühlen, Erinnerungen beeinflusst. Während die Anzahl der Zellen nicht weiter zunimmt, vernetzen sie sich jedoch ein Leben lang immer weiter. Die Karte der Verbindungen wird unsere Nutzung weitergeschrieben.

2. Kein Gehirn ist identisch

Die Aussage ist recht trivial, hat aber für unser Miteinander große Auswirkungen. Die Neurone werden durch unsere Erfahrungen vernetzt. Keiner von uns hat sein Leben lang zu 100 % die gleichen Vernetzungen erhalten, also nimmt auch jeder seine Realität ein wenig anders wahr. Gehe nie davon aus, dass ein Gegenüber genauso denkt, wie Du.

3. Wichtige Dinge werden hart verdrahtet

Der präfrontale Cortex des Gehirns ist der Arbeitsspeicher und -prozessor für Dinge, wenn wir aktiv über etwas nachdenken. Es ist jedoch recht klein und kann nur einige wenige Informationen gleichzeitig halten. Informationen gehen hier schnell wieder verloren, es muss ja schließlich schnell weiter verarbeitet werden.

Treffen wir auf Erfahrungen, die dem Gehirn als uns besonders wichtig erscheinen, werden diese zwischengelagert und über Nacht im Schlaf in einen permanenten Zustand überführt. Wir können uns nicht aussuchen, was hier bei uns – oder gar bei einem Gegenüber – gespeichert wird. Durch aktives Lernen versuchen wir es bei uns selbst zu steuern.

Das verlinkte Video kann ich übrigens sehr empfehlen. Schlaf ist so wichtig!

4. Unsere Verdrahtung steuert unsere automatische Wahrnehmung und Reaktionen

In Konflikten übernimmt unser emotionales System. Da wird nicht mehr großartig gedacht, kooperiert oder gelernt. Nein, da wird angegriffen, verteidigt, sich tot gestellt oder geflüchtet. Wie oft sind uns erst nach einem Streit die besten und rationalsten Argumente für eine Situation eingefallen? Es werden schnelle Lösungen mit fertigen, verdrahteten Programmen abgespielt.

Die physikalische Konstruktion des Gehirns steuert die Wahrnehmung. Sie ist also die Brille, durch welche die Welt gesehen wird. Negative Erfahrungen wirken sich, das ist jetzt also nicht überraschend, auf unsere automatische Wahrnehmung und die Reaktionen darauf aus.

Es benötigt auch deutlich mehr positive Erfahrungen, um eine negative wieder wettzumachen.

5. Es praktisch unmöglich, alte Verbindungen aufzulösen

In einem normalen, gesunden Gehirn bleiben geschaffene Verbindungen erhalten. Durch das Alter kann das eine oder andere ins Hintertreffen geraten. Informationen, die gespeichert sind, bleiben aktiv. Der Weg dahin jedoch kann anders aussehen.

Zellreduktion kann durch Störungen des Gehirns, wie durch Langzeitstress, Depressionen, posttraumatischer Stressstörung oder externer Einflüsse, wie Medikamente und Drogen, eintreten.

6. Es ist leicht, neue Verbindungen zu schaffen

Die gute Nachricht ist, es ist unkompliziert für das Gehirn, neue Verbindungen zu schaffen. Durch Wiederholung von Inhalten, gezielter Aufmerksamkeitssteuerung – besonders in Verbindung mit Emotion – kann das Gehirn bewusst verändert werden.

Der Fokus auf neue Inhalte und deren konstanter Wiederholung wird einmal die Verbindungen zur neuen, gewollten Gewohnheit „breiter“ machen. In Stresssituationen wird dann die neue Information einfacher und leichter in den Sinn kommen.

Kurzes Fazit

Man sieht hier schön, dass unsere mögliche Vorstellung vom eigenen Gehirn doch sehr viel komplexer ist, als wir vielleicht vermuten. Im Alltag ist also geboten, Verständnis für die jeweiligen Spezialitäten und das Verhalten eines Menschen, mit dem wir interagieren, aufzubringen. Dummerweise ist unser Gehirn dafür auch nicht direkt gebaut. Eine psychologisch sichere Umgebung ist dafür unerlässlich. Das wird auf jeden Fall ein Folgeartikel, dies die Stressreaktion des Körpers und was wir uns selbst antun, wenn wir unser eigenes Gehirn durch Negativität „besudeln“.


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