First Principle Thinking

Der Erfolg von neuen, disruptiven Unternehmen beeinflusst das Privat- und Arbeitsleben von höchstwahrscheinlich wie jedem von uns. Gemein haben alle eine besondere Art des Denkens.

Disruptionen im Alltag

Teslas Elektroautos, die besonders durch ihre attraktive Software auffallen und weniger durch hundertprozentig akkurates Spaltmaß, mischen den Markt auf. AirBnB möchte, dass wir über das Übernachten auf Reisen neu nachzudenken und gestaltet damit auch den Wohnungsmarkt in großen Städten um. Apple schuf einen Markt, der in den vergangenen Jahren in — gefühlt — jede Hosentasche der Welt ein tragbares Gerät gebracht hat. Apple hat uns mit seinem „denke anders“ etwas „Star Trek“-artiges ermöglicht.

Gemein haben alle diese einschneidenden Unternehmen eine sehr klare und besondere Art zu denken. In der heutigen Zeit ist der Begriff „First Principle Thinking“ besonders eng mit dem Namen „Elon Musk“ verbunden. Seine umstrittene und auffallende Arbeitsweise ermöglichte es ihm drei disruptive, milliardenschwere Unternehmen (PayPal, Tesla und SpaceX) aufzubauen. Deren Erfolg wird unter anderem seiner besonderen, schnellen Denkweise beim Lösen von Problemen zugeschrieben.

Think different

Die zugrundelegende Denktechnik ist nicht neu. Die antiken Philosophen wandten sie, genau wie auch Einstein und Edison, an. Beim „First Principle Thinking“ geht es darum, den Dingen bis auf den Grund zu gehen und die unterste, fundamentale Wahrheit aufzudecken.

Für Sokrates und dessen Schüler Platon war „das Wahre“ ein Aspekt des guten Lebens. Das griechische Wort für Wahrheit („aletheia“) bedeutet in etwa: die Verneinung des Verborgenen.

If I had an hour to solve a problem, I’d spend 55 minutes thinking about the problem and 5 minutes thinking about solutions.
Albert Einstein

In einem Interview mit Chris Anderson erklärt Elon Musk seinen Ansatz, Dingen auf den Grund zu gehen:

Well, I do think there’s a good framework for thinking. It is physics. You know, the sort of First Principles reasoning. Generally, I think there are — what I mean by that is, boil things down to their fundamental truths and reason up from there, as opposed to reasoning by analogy. Through most of our life, we get through life by reasoning by analogy, which essentially means copying what other people do with slight variations.
Elon Musk

Hier wendet Musk letztlich das Prinzip des „ausgeschlossenen Widerspruchs“ an, welches Aristoteles – ein Schüler Platons und Begründer der formalen Logik – schon formulierte.

Das „First Principle Thinking“ ist also das Vorgehen, aktiv alles, was man über ein bestimmtes Problem annimmt und weiß, zu hinterfragen. Danach kann man neues Wissen und Lösungen auf der analysierten, grünen Wiese erschaffen.

Praktisches FPT

Wie könnte dieses Denken nun in der Praxis aussehen? Ein schönes Beispiel findet sich im Interview von Kevin Rose mit Elon Musk (beginnend ab Minute 23:30)

Somebody could say that Battery packs are really expensive and that’s just the way it will always be. Because that’s the way it has been in the past. […] Historically, they cost about $600 per kilowatt-hour, and so it's not going to be better than that in the future.

So, what are these batteries made of? With first principles, you say: what are the material constituents of the batteries? What is the stock market value of the material constituents? It’s got cobalt, nickel, aluminum, carbon, some polymers for separation and a seal can. Break that down on a material basis and say: If we bought that on the London Metal Exchange, what would each of those things cost? It’s like $80 per kilowatt-hour.

So, clearly you just need to think of clever ways to take those materials and combine them into the shape of a battery cell, and you can have batteries that are much, much cheaper than anyone realizes.
Elon Musk

Schritte des „First Principle Thinking“

Erkenne Deine Annahmen und „Vorurteile“

Im ersten Schritt werden feste Annahmen und Gesetztes hinterfragt. Dinge, die schon immer so waren und deshalb so bleiben müssen, herausgearbeitet. Grundeinstellungen werden hinterfragt, mit dem Ziel umzudenken. Nicht umsonst gibt es den Kalenderspruch an vielen Wänden in Büros: „Alle sagten: ‚das geht nicht!‘ dann kam einer, der wusste das nicht und hat es einfach gemacht.“

Schreibe also im ersten Schritt alles nieder, was Dir zu einem Thema als unhinterfragte Annahme vorkommt.

  • Das müssen wir in Excel machen.

  • Dafür brauchen wir einen Externen, das können wir nicht allein.

  • Das können wir nicht machen, das kostet zu viel Geld.

  • Es gibt keine Alternative zum jetzigen Prozess.

Herunterbrechen der Probleme

Jetzt folgt im zweiten Schritt, die Analyse und das Zerlegen des Problems in seine fundamentalen Komponenten. Das Fragen von „W“-Fragen, um an die Details der verschiedenen Annahmen zu gelangen, bietet sich an.

Der Gründer von Tojota Industries Corporation Inc. Toyoda Sakichi verwendete sein „5-Warum“-Konzept, um Problemen auf den Grund zu gehen. Frage fünfmal „Warum“, um die Ursache des Problems herauszufinden. Dann ändere den Prozess so, dass das Problem nicht mehr auftreten kann. Die Methode findet sich auch im „Six Sigma“-Managementsystem zur Qualitätsverbesserung wieder.

Wichtig ist es, konventionelles Denken außen vorzulassen, um kreatives Denken zu ermöglichen.

Ein Beispiel mit weniger Fragen zur Veranschaulichung:

  • Eine Bäckerei verwendet keine fertigen Backmischungen. (Warum?)

  • Fertige Backmischungen schmecken nicht. (Warum?)

  • Die Backmischungen sind billig, weil nur billige Zutaten enthalten sind und der Geschmack darunter leidet. (Warum?)

  • Der Einkauf von hochwertigen Zutaten lohnt sich nur in großen Mengen. (Könnte hier schon eine Lösung sein?)

Die Herausforderung hier besteht darin, sich in bei jeder Frage einem Kern zu nähern und eine Dauerschleife mit immer neuen Aspekten zu vermeiden. Das Prinzip wird jedoch klar.

Neuartige Zusammensetzung

Der dritte Schritt beinhaltet die neuartige und unkonventionelle Zusammensetzung der einzelnen Bestandteile, um innovative Lösungen zu konzipieren.

In der letzten Antwort aus dem Beispiel von Schritt zwei findet sich schon ein möglicher Ansatz. Man könnte Backmischungen tatsächlich verwenden, wenn man einen Lieferanten findet, der die hochwertigen Zutaten in großer Menge einkauft und daher ein besseres Angebot machen kann. Das hört sich noch nicht nach einer wunderbaren Innovation an, löst aber möglicherweise eine Denkblockade und vorhandene Glaubenssätze.

Think different

Mit komplexen Problemen konfrontiert, verlässt sich der Mensch oft auf seine existierenden Erfahrungen (Heuristiken), mit denen er schnell reagieren kann. Diese fertigen Rezepte bieten schnelle Reaktionen auf Alltagssituationen und geben eine gewisse Sicherheit. Sie lassen sich aber von Emotionen relativ einfach in die Irre führen. Kreative Ideen kann man von diesen Abläufen aber nicht wirklich erwarten. „First Principle Thinking“ kann hier eine sehr anstrengende, bewusste und zielführende Methode darstellen.

Für tiefergehende Informationen über die dahinterliegenden Gehirnabläufe kann ich das ausgezeichnete Buch von Daniel Kahneman „Schnelles Denken, langsames Denken“ und gleich danach „Noise“ empfehlen.

(Einordnung: die weiterführende Buchempfehlung kommt von mir, ich bekomme keine Entlohnung dafür und möchte das auch nicht. Ich habe jeweils direkt den Verlag verlinkt und nicht etwa einen Internetversand, die Werbung ist also unbezahlt)


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